Corporate Therapy

Episode #083 // Der Wert von Kritik // mit Wolfgang M. Schmitt

Human Nagafi, Mary-Jane Bolten, Wolfgang M. Schmitt Season 1 Episode 83

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In Episode 83 wagen wir uns an ein großes Thema, das uns doch alle persönlich betrifft und oft auch trifft: Kritik. Wir vergleichen die Rolle eines Kritikers mit der Rolle von Gestaltern in Unternehmen. Welche Rolle spielt Kritik und welche Züge nimmt sie an? Was stört so an negativer Kritik und wie können wir emotional damit umgehen? Wir sprechen über den Drang, alles immer positiv zu formulieren und dem Trend, alle Meinung als valide Meinung durchgehen zu lassen - und was das über unsere Gesellschaft aussagt.

Shownotes:

  • Wolfgang M. Schmitt & Ole Nymoen, Buch, Influencer
  • Wolfgang M. Schmitt, Youtube, Die Filmanalyse
  • Wolfgang M. Schmitt & Stefan Schulz, Podcast, Die neuen Zwanziger
  • Wolfgang M. Schmitt & Ole Nymoen, Podcast/Youtube, Wohlstand für Alle
  • Eva Illouz, Buch, Das Glücksdiktat
  • Barbara Ehrenreich, Buch, Smile or Die
  • Marcel Reich-Ranicki, Bücher, Lauter Lobreden & Lauter Verrisse
  • Corporate Therapy Folge #80 mit Judith Muster: Organisationale Innovation oder alles Management Moden?
  • Corporate Therapy Folge #66 mit Catherine Liu: The Professional Managerial Class
SPEAKER_01:

Ganz brutal gesagt, ich habe das Gefühl, Führungskräfte wollen einfach

SPEAKER_04:

gar keine Verantwortung mehr für ihre Mitarbeitenden. Vielleicht kann man tatsächlich diese Parallele ziehen. Also da, wo es ökonomisch bergab geht oder es zumindest sehr prekär für viele zugeht, da ist zu erleben, dass man versucht, Ersatzhandlungen und Ersatzprodukte anzubieten. Und das ist dann unter anderem die Glücksphilosophie und Psychologie.

SPEAKER_00:

Willkommen

SPEAKER_02:

zum Corporate Therapy Podcast. Heute mal wieder mit meinem sehr geschätzten Kollegen Humann. Hallo Humann.

SPEAKER_01:

Guten Tag.

SPEAKER_02:

Hi. Und quasi auf der Stammgäste-Couch sozusagen begrüßen wir außerdem Wolfgang M. Schmidt. Hallo Wolfgang.

SPEAKER_04:

Hallo Mary. Hallo Humann. Guten

SPEAKER_02:

Tag. Wir saßen vor längerem zusammen und dachten, wir würden gerne mal wieder podcasten. Und dann ist uns gar nicht so richtig eingefallen, worüber wir eigentlich sprechen sollen, weil wir schon so häufig über so gute Themen gesprochen haben. Und deswegen haben wir das einfach mal so ein bisschen sacken lassen. Und auf einmal sprang Human aus dem Nichts auf mich zu und regte sich ein bisschen auf über, ich sag mal so, über... Menschen, die bestimmte Dinge sagen, auf eine bestimmte Art und Weise. Wolfgang ist natürlich der perfekte Gast dafür, weil du ja selbst ein Kritiker bist als Beruf und deswegen auch nochmal da sehr viel tiefer in diesen ganzen Themenkomplex Kritik mit uns einsteigen kannst. Und deswegen freuen wir uns natürlich, dass du da bist und ich würde direkt mit einer Definitionsfrage anfangen. Wenn wir nämlich jetzt schon gerade gehört haben, dass manche sagen, ach Kritik, du bist immer so negativ. Was bedeutet eigentlich Kritik und ist Kritik eine negative Sache, Wolfgang?

SPEAKER_04:

Ja, das stimmt. Ideengeschichte ansieht, kann man schon feststellen, dass Kritik in der Regel mit etwas sehr Negativen assoziiert wird. Ein Beispiel ist Goethe, der ein Gedicht geschrieben hat, in dem es dann heißt, schlag den Tod den Hund, er ist ein Rezensent. Also man hat dort die Ausgangslage, dass jemand zu Gast ist, jemand Fremdes kommt und und wird dann beherbergt, wird beköstigt und kann dort also gratis am Essen teilnehmen und danach geht er aber zum Nachbarn und kritisiert, wie das Essen geschmeckt hat, es sei nicht gut gewesen und er mäkelt herum und das wird dann von Goethe allegorisch begriffen, so verhalten sich Literaturkritiker, sie sind zu Gast am Tische der Schriftsteller, ja, bekommen gratis dargereicht diese wunderbaren Werke und dann sollen sie doch eigentlich dankbar sein und nicht anfangen zu kritisieren. Und diese Haltung, dass man Rezensenten am besten totschlagen sollte, ist dann durchgehend in der deutschen Kulturgeschichte zu finden, auch dann im ganz buchstäblichen Sinne. Und damit will ich auch dann das historische Panorama zunächst einmal schließen. Bei den Nazis gibt es 1936 von Goebbels den Kunstbetrachter Erlass, der Kritik verbietet. Der also sagt, dass die kritische, also auch negative Auseinandersetzung mit Kunstwerken etwas Jüdisches ist, etwas Zersetzendes ist und dass deshalb dies nicht der deutschen Kultur ansteht, dass das nichts ist, was zur deutschen Kultur gehört und deswegen soll nur noch eine Kunstbetrachtung stattfinden. Das heißt, man ist wohlwollend dem Werk gegenüber und kann zwar erklären, was man dort sieht, aber ist es nicht mehr deutsche Tugend ätzende Kritik zu äußern und damit hat man also Kritik in Deutschland dann wirklich verboten. Und hat jene, die sie noch ausübten, dann entsprechend behandelt. Und da sieht man das also in der extremsten Ausprägung. Aber generell ist der Status des Kritikers immer einer, der von der Gesellschaft nicht immer nur gefeiert wird. Man gilt oft als Spaßbremse, Spielverderber, wie immer man das nennen möchte.

SPEAKER_01:

Ich frage mich an der Stelle, ist in unserer Gesellschaft die Funktion des Kritikers oder auch Kritik an sich, sowohl von dem, der kritisiert, es gibt auch vielleicht Menschen, die sehen sich sozusagen als Kritiker, aber haben vielleicht nicht so richtig gut verstanden, was sie kritisieren und wie sie sich auf die Kritik einlassen. Ich frage mich oft in unserer Gesellschaft, wie diese Funktion der Kritik funktioniert. Also ich versuche mal, Kritik so zu verstehen, wie ich das auch für meine Arbeit zum Beispiel verstehe, als jemand, der beauftragt wird, um zu schauen, Dinge laufen vielleicht nicht so gut. Und ein Teil der Wahrheit ist ja, nicht alles ist geschlossen perfekt. Es gibt natürlich immer in Dingen Widersprüche, die sind ja oft verwoben, nicht erfüllte Ambitionen und Aspirationen. Und ich sehe oft meine Arbeit darin, genau diese Widersprüche zu erkennen, rauszuarbeiten, zu verstehen, was Motivationen dahinter sind, zu verstehen, woran es an seiner eigenen Idee scheitert. Und das sehe ich ja oft als sozusagen im ersten Schritt überhaupt erstmal als gestalterische Kraft, Weil wenn wir ja die Widersprüche und das Scheitern an der Ambition erkennen, können wir ja daraus wiederum neue Schlüsse ableiten. Was ich aber auch beobachte, auch in Twitter passiert das gerne, dass wenn man eine Position der Kritik annimmt, das Gegenüber erstmal so eine Position einnimmt und sagt, naja, wenn du kritisierst, musst du ja auch eine Antwort haben. Wie ist das Bessere? Ich glaube, das fällt unter diesen Begriff konstruktive Kritik. Also in der Logik, dass der Kritiker nur kritisieren darf, soweit er eine Lösung hat für das, was kritisiert wird. Und das finde ich ein bisschen komisch. Damit verlieren wir doch einen potenziellen Raum der Gestaltung, zu sagen, wir sind auch mit Hegel gedacht, wir bewegen uns ja auch irgendwie an den Grenzen unserer Erkenntnis. Wenn wir aber an diesen Grenzen nicht arbeiten, verlieren wir nicht schöpferisches Potenzial. Denn ich hatte auch im Vorfeld mich so ein bisschen schlau gemacht, Ein Begriff, den wir vielleicht ganz wenig benutzen, weil er vielleicht auch sehr negativ konnotiert ist, ist ja destruktive Kritik. Es hört sich jetzt so bis dahin an, man will zerstören, aber gar nicht im Sinne von zerstören, sondern im Sinne von, wo scheitert es? Interessant, wie ich unsere heutige Gesellschaft betrachte im Sinne von, alles soll performant sein, besser werden, schneller werden, höher gehen. Scheitern wir aber genau an diesem Potenzial der, ich nenne sie mal, destruktiven Kritik zu sagen, naja, da steckt ja auch sehr viel Potenzial drin.

SPEAKER_04:

Aber die nutzen wir gar nicht. Ich gebe den Filmemachern keine Ratschläge. Wenn ich den Film kritisiere, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Das heißt, das ist nicht so, dass die sagen, gut, dann werden wir das nochmal umschneiden oder folgende Szenen rausnehmen und dann wird das schon was, sondern das ist passiert. Ich habe einen anderen Adressaten für meine Kritik. Das ist die Öffentlichkeit, was immer man darunter dann sagt. Genau verstehen will. Aber es geht nicht darum, Schriftstellern oder Filmemachern zu helfen, wie sie besser werden können. Ich glaube auch nicht, dass auf dem Pfade der Kunst in dem Sinne möglich ist, dass jemand liest, das habe ich falsch gemacht bei dem Film, das nächste Mal mache ich es besser. Im Gegenteil, es gibt relativ viele Beispiele, zumindest aus dem Arthouse-Filmbereich, wo man sagen kann, irgendwann haben die Filmemacher angefangen, nur noch die Filmkritiken, die sie erhalten haben, zu verfilmen. Das ist also eine ganz große Gefahr. Wo ich glaube, Kritik sinnvoll ist, ist dann, wenn man so etwas wie einen Supervisor am Set hat oder man hat vielleicht Vertraute, mit denen man sich austauschen kann. Das ist auch dann wiederum eine Typfrage und auch wie sehr so schöpferische Prozesse aus sich heraus generiert werden oder wie viel Teamarbeiter vonnöten ist. Und bei einem Unternehmen ist es ja doch sehr anders. Da geht es ja darum, dass man dieses Unternehmen verbessern soll und man will verhindern, Das Kritik anfängt zu üben, dass man irgendwas falsch gemacht hat oder beispielsweise Leute das Unternehmen verlassen, weil sie nicht mehr zufrieden sind mit dem Workflow oder mit dem Gehalt und ich glaube, da ist der Punkt angelangt, wo man also bevor etwas passiert, versucht dieses Unternehmen zu optimieren und ich glaube, da muss aber auch das Destruktive stattfinden, denn diese Negation, die artikuliert wird, die sorgt ja erst einmal dafür, dass es so einen kleinen Schockmoment gibt und man dann plötzlich vor der Möglichkeit steht, dass man es ganz anders macht. Wenn es nur darum geht zu sagen, es läuft alles super, aber wir können nochmal so einen kleinen Feinstift geben. Das mag auch in einigen Fällen gut sein. Ich glaube aber, dass es in sehr vielen Fällen sinnvoll ist, durch die Kritik jetzt zum Beispiel in Persona von Unternehmensberatern sich also die disruptiven Gedanken ins eigene Haus zu holen.

SPEAKER_02:

Ich glaube, was da halt super wichtig ist, ist die Beziehungsebene auch zu verstehen. Ja. Ein Handwerk, würde ich jetzt vielleicht auch sagen, dass man sagt, wie kann man eigentlich Wirkungen, Konsequenzen, irgendwie Zusammenhänge, wie kann man das tiefer legen, wie kann man gucken, warum sind eigentlich Sachen so und so und dann so ein bisschen aufklärerisch Kritik üben. Zum Beispiel in deinen Filmkritiken machst du ja auch eine Ideologiekritik. Was wird denn jetzt hier eigentlich transportiert? Was vielleicht Sachen sind, auf die man noch gar nicht selber gestoßen ist. Aber man hat irgendwie so ein Gefühl, irgendwas ist komisch, aber dann ist es erklärt, artikuliert und so weiter. Und dann machen wir aber ja einen Rollen-Switch. Also dann müssen wir ja selber gestalten.

SPEAKER_04:

Was ich

SPEAKER_02:

nie

SPEAKER_04:

muss. Genau, was du nie musst. Du

SPEAKER_02:

Glücklicher. Sinnvoll ist, dass du das nie musst. Also das ist eigentlich bei uns, würde ich sagen, eine Unschärfe dann da drin. Weil dann gehen wir ins Gestalten. Und jetzt wird es nämlich unklar, wer wen wie kritisieren kann. Und auf welcher Basis. Und das ist total lustig, wenn man das mit Abstand betrachtet, finde ich das manchmal sehr amüsant, weil natürlich brauchen wir Kritik und wir brauchen auch die Kritik aus der Organisation, weil wir gewisse Dinge nicht von außen sehen können. Gleichzeitig müssen wir diese Kritik aber ja auch wieder prüfen. Und wenn man dann die Kritik kritisiert, weil man merkt, das war jetzt ein Vorschlag, was man da noch verändern könnte, aber wenn wir das machen, dann hat das ja diese und jene Konsequenzen, das sehen wir ja schon. dann kommt das so häufig, als ob das jetzt, aber wir wollen, dass es so ist, aber wir wollen gar nicht, dass es so ist, ist ja quasi die logische Sache und dann gehen wir wieder quasi vom Gestalter über in den Kritiker und ich glaube, dann ist es manchmal eine interessante Reibung, die da passiert und interessant ist jetzt ein großer Euphemismus. Also ich glaube, das ist eigentlich tatsächlich der unangenehme Teil, ist dann, wenn konstruktive Kritik kommt oder die konstruktiv gemeint ist, aber man die nicht so verarbeiten

SPEAKER_01:

kann. Du hast ja gerade mehrere Sachen gesagt, ich würde sie gerne ein bisschen differenzieren. Also ich würde nicht alles Kritik nennen. Ich würde sagen, Leute kommen mit einer Meinung. Und ich würde gerne Meinung unterscheiden zu dem, was ich als Kritik verstehe. Und zwar Kritik sind argumentative Sätze mit einem Wahrheitsgehalt. Am Ende bringt es uns ja nichts. Was du gerade beschreibst, erlebe ich ja auch oft in unseren Projekten. Man ist in dieser gestalterischen Phase und Leute kommen mit, ich nenne es mal, wenn man es nett sagen würde, mit einer Perspektive. Oft kommen sie mit einem Gefühl. Und dann sagen sie, das gefällt mir aber nicht so und so. Das würde ich jetzt nicht Kritik bezeichnen. sondern das könnte ich eher von Nörgeln bis Gemütszustandsbekundung betiteln. Dort, wo ein Argument ist, und man kann mit diesem Argument Rede gegen Rede führen und so weiter, da kann man ja damit arbeiten. Okay, lass uns mal das hinlegen, vielleicht bin ich anderer Position, aber dann können wir sozusagen Argumente aufeinander prallen lassen und schauen, wo wir damit landen. Ich glaube, in unserer Arbeit, und das ist ja hier sozusagen der therapeutische Raum, um diese Arbeit zu reflektieren, ist auch Ideologiekritik in dem Sinne ein relevanter Punkt. Um ein Beispiel in den Raum zu bringen. Wir haben Projekte, da reden wir über Gehalt. Also wie viel Geld oder wie viel Bonus oder was ist Karriere in dieser Firma? Und ehrlicherweise würde ich nicht behaupten, dass Unternehmensberatung in der Regel kritikbasiert rangeht. Also man fängt sofort mit einer Lösung an und arbeitet sich an dieser ab, anstatt sich mit der Kritik zu beschäftigen. Deswegen erleben wir ja oft, dass dann Unternehmen heutzutage sagen, oh ja, wir haben ein New Work Gehaltsmodell. Das bedeutet, keine Ahnung, du kriegst dann noch einen 25 Euro Amazon Gutschein am Ende des Monats. Als Appreciation.

SPEAKER_02:

Das ist ja toll. Als Wertschätzung, deswegen

SPEAKER_01:

New Work. Genau, als Appreciation, was auch immer. Aber wo man ja eigentlich starten müsste und wo ich sagen würde, ist unser Anspruch ist, was ist die Funktion von Geld in der Organisation? Was wollen wir damit ausdrücken? Was wurde vorher damit ausgedrückt? Welche hierarchischen Beziehungen vermittelt es in Wirklichkeit? Und das ist ja der Anspruch, wie wir an unsere Arbeit rangehen und nicht mit einer Lösung starten, wie das klassische Unternehmensberatung tun, sondern eigentlich mit der Kritik starten, um zu verstehen, was sind die internen Limitierungen und die Widersprüche des aktuellen Modells und warum wollen wir sie überhaupt lösen. Also sozusagen die Negation des Aktuellen ist ja auch schon wiederum relevant für das, was gestaltet wird. Und hier sehe ich schon sozusagen Parallelen zu Kulturkritik oder auch was du machst. Aber das Problem, was wir haben, wir sind in einem Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis. Es ist so, als würde Til Schweiger dich anrufen und dir Geld geben, damit du seine Kritik schreibst. Ist halt vielleicht auch eine doofe Beziehung, wenn er dich für die Kritik bezahlen würde.

SPEAKER_04:

Gibt es ja immer mehr. Also es gibt ja schon, wenn nicht Filmemacher, die das direkt bezahlen, aber es gibt ja doch Studios, die versuchen, Filmkritiker sehr stark zu umgarnen. Nicht im Sinne von größeren Geldbeträgen, aber naja, man moderiert dann irgendwelche Veranstaltungen oder bekommt tolle Einladungen in Luxushotels, um dort am Filmset auch mal ein paar Insta-Stories zu machen. Also diese Art der Vereinnahmungen, der Kritik gibt es zuhauf und die haben zugenommen durch die sozialen Medien, ganz klar. Aber ich bin eigentlich als Kritiker im Auftrag des Publikums unterwegs, aber ich habe vom Publikum gar keinen Auftrag erhalten. Was dann zur Folge hat, dass der Kritiker weder bei den Filmemachern hoch angesehen ist, noch bei dem Publikum, das sich ja auch nicht den Film kaputt machen lassen will. Also das ist ja dann oft eine Argumentation. Das heißt, man verteidigt die Kunst am Ende für das Publikum, aber das Publikum weiß gar nicht, das wertzuschätzen.

SPEAKER_01:

Also meine Frau weigert sich bis heute, die Filmanalyse zu König der Löwen sich anzuschauen. Siehste. Ja. Sonst ist sie immer gern dabei. Ich finde vielleicht ganz interessant, heute mal so ein bisschen diese Parallelen zu ziehen. Wie siehst du denn das mit dieser Entwicklung von diesen Influencern, die ja auch, ich sag mal, Content produzieren? Und da ja auch sehr viele, gibt es sowas wie Filminfluencer? Wahrscheinlich, oder? Zunehmend, ja. Da gibt es ja nichts, was es nicht gibt, ja. Wie siehst du denn sozusagen da die Differenz zwischen wie du, ich sag mal eher so eine Art klassischen Anspruch an Kritik und den immer mehr zunehmenden Filminfluencern?

SPEAKER_04:

Naja, die sind ja einfach dazu da, um Werbung zu machen für den Film und die halten ihr Gesicht in die Kamera und geben dann die Meinung ab, die gewünscht ist. Also nicht, dass die das groß geprieft bekommen, manchmal ist das auch der Fall, aber oftmals sind die auch so gestrickt, dass da nicht viel anderes rauskommen würde oder sie dann lieber zwei Augen zudrücken, wenn der Film nicht so gut war, aber diese Werbekooperation einmal stattfindet. Was viel mehr aber noch zunimmt ist, neben diesen Film-Influencern, ist, dass die Öffentlichkeit eigentlich Ja, genau. Und dort dann einfach ein paar schöne Fotos macht, emotional sich äußert, also die Emotionen, das subjektive Empfinden überwiegen. Und es geht nicht um eine Auseinandersetzung mit Filmen, auch nicht um das Denken. Und du hattest anfangs darauf hingewiesen, oft kommen Leute und beschweren sich so aus der Empfindung heraus. Und das gibt es aber auch. In der anderen Variante nämlich, dass man sich aus der Empfindung heraus nur Emotionen getrieben zu etwas positiv äußert, aber überhaupt keine Argumentationen mitliefert, warum etwas gut ist. Man sagt dann einfach immer nur noch, war super, war toll, wow. Und es gibt aber keine Begründung mehr für dieses wow. Das reicht aber in solchen affektiven Medien wie Facebook, Instagram, TikTok völlig aus und ist natürlich auch das, was die Filmstudios eigentlich wollen, nämlich nur das Gefühl von Überwältigung und muss man gesehen haben und man möchte nicht eine Auseinandersetzung mit Filmen oder generell eine argumentative Auseinandersetzung haben, weil diese natürlich immer auch bedeutet, dass Betrachter in Distanz zu sich selbst treten und gerade Leute, die dazu nicht Ja, genau. dass man auch nicht versucht, die Tagesform noch mitzuschleifen und am Ende den Film dafür verantwortlich zu machen, dass man Kopfschmerzen hat, sondern man hat die Kopfschmerzen, man kann aber trotzdem erkennen, dass der Film großartig ist. Und diese wirkliche Trennung vorzunehmen, Ist sehr schwer und natürlich gibt es sowas wie individuellen Geschmack und ich kann auch bei mir sagen, dass ich generell Animationsfilme nicht so interessant filme wie Filme mit Menschen und dennoch bemühe ich mich, wenn ein interessanter Animationsfilm da ist, die Qualitäten zu erkennen, auch wenn das nicht mein ganz persönlicher Filmgeschmack beispielsweise

SPEAKER_01:

ist. Ich kann leider die Vergangenheit nicht so gut einschätzen, weil ich da noch nicht alt genug war, um das bewerten zu können. Ich finde diese Parallelen ganz spannend, die du auch beschreibst. Und ich frage mich wirklich, ist das so ein Ding, was gerade durch die Bank passiert, dass ich manchmal in Terminen sitze mit relativ hohen Führungspositionen, wo man sagt, naja, die kriegen schon ordentliches Geld, also wirklich sehr ordentliches Geld. Deren Job ist es ja eigentlich zu denken, vielleicht auch ein bisschen zu lenken. Und wo dann so Sätze fallen wie, ach... Man soll doch nicht immer so negativ auf die Dinge schauen. Man soll ja hier positiv sein. Aber die Probleme, die du beschreibst, lösen sich nicht durch positives Denken. Vielleicht ist das so eine Kulturbeobachtung. Wie gesagt, vielleicht bin ich da ein bisschen naiv. Aber wenn wir uns das angucken im Film, wie du es gerade beschreibst, man geht immer mehr auf Emotionen und so weiter. Und auch Leute, die Filme sich anschauen. Hier auch vielleicht der kleine Verweis. Du hast ja auch mal eine sehr spannende Til Schweiger-Filmanalyse gemacht, wo man sich vielleicht eher diese Kategorie von Bewertungen anschauen kann. Das ist, glaube ich, die Lieblingsfilmanalyse von Mary. Aber egal, wollen wir da nicht zu Details einschlagen. Dieser Anspruch, nicht nur von den Menschen selbst, aber auch von den Medien gegenüber den Menschen zu sagen, naja, wir sollten schon mal ein bisschen Anspruch haben, wie wir an Sachen rangehen, dass das irgendwie immer sich abschwächt. Manchmal habe ich das Gefühl, wir erleben das dann im organisationellen Alltag. wo auch schon alles auf TikTok-Aufmerksamkeit, Zeitspann runtergebrochen sein müssen, alles in drei bunte Bilder und nicht mehr als drei Bullet Points sein darf, Texte nicht länger sein sollten als, keine Ahnung, vier Zeilen und

SPEAKER_04:

so weiter. Das ist ein komischer Trend. Nun, wir haben ja diese Entwicklung der positiven Psychologie, diese Entwicklung der Glücksphilosophie und Glückspsychologie, Glücksforschung. Eva Illus hat ja beispielsweise dazu viel publiziert, die israelische Soziologin, die ganz deutlich macht, dass eigentlich die Kritik immer unerwünschter wird und man alles mit Positivem aufladen soll. Alles, was dann vielleicht negativ geschieht, muss gleich umgewandelt werden in etwas Positives, muss wieder damit auch wahrenförmig werden. Eine andere Ideologie, Ideologie-Kritikerin war Barbara Ehrenreich, die das Buch vor über zehn Jahren publizierte, Smile or Die, wo sie ganz autobiografisch anfängt und zwar hat sie Krebs und bekommt aber dann laufend von allen eingeredet, dass sie das als eine unglaublich tolle, positive Sache erstmal annehmen soll. Sie sagt, nee, das ist aber nicht positiv und ich finde das auch scheiße und möchte eigentlich wieder gesund werden. Wie also alles in dieser Ideologie da ist, dass man immer nur positiv bitte auf alles drauf blicken soll, das hat sich ganz glaube ich, sehr, sehr verbreitet und deswegen hat die Kritik nicht nur jetzt die Kunstkritik, sondern generell die Kritik einen ganz, ganz schlechten Ruf inzwischen und Das mag sich dann auch da in den Managements zeigen, die auch eigentlich nur noch auf Positivität raus sind, weil man glaubt immer, wenn man sich nur lang genug einredet, dass man positiv denken muss, dass dann auch was Positives geschieht. Aber das ist so ein neu religiöses Denken, wenn man so möchte. Da ist die Frage, ob man dann in der Wirtschaft richtig aufgehoben ist oder doch es eher mit der Kirche versuchen sollte.

SPEAKER_02:

Also wir haben da einmal auch im Beratungskontext gesagt, Ja. Ja. Das ist, glaube ich, auch was, da arbeiten wir immer noch dran. Ich glaube, das ist auch noch nicht gelöst. Wie kann man überhaupt in Gruppensettings zum Beispiel, wie kann man Kritik da überhaupt gangbar machen? Also ich finde das schon problematisch an manchen Stellen. Also wenn wir zum Beispiel das Goethe-Beispiel wieder nehmen. Also wenn man eingeladen wird zum Essen und danach sich darüber beschwert, das sind ja zwei unterschiedliche Sachen, die da eigentlich passieren. Also kann man das anerkennen und wertschätzen und dankbar sein dafür, dass man dieses Essen genießen durfte mit Menschen und dass man da eingeladen wurde? Und gleichzeitig kann es natürlich auch trotzdem stimmen und wahr sein, dass dieses Essen einfach nicht gut ist. Kann ja beides gleichzeitig wahr

SPEAKER_04:

sein. Und die Allegorie ist ja auch falsch. Also man ist ja in dem Sinne nicht eingeladen, das ist ja ein falsches Bild, dass man sagt, das Publikum ist mal eingeladen, an der Tafel der Künstler zu essen.

SPEAKER_02:

Das ja zusätzlich auch noch. Ich mache jetzt mal den Übertrag auf Feedback. Da gibt es ja immer quasi dieses Sandwich-Modell, erst was Positives sagen. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja, klar. Ja, klar.

SPEAKER_04:

Du hast jetzt viele Themen aufgerufen und einmal auch nach so einer anthropologischen Konstante gefragt. Ist das einfach menschlich, dass wir Kritik nicht gerne hören? Und diese Frage kann ich nur mit Ja beantworten. Ich will auch keine Kritik hören. Harald Schmidt hat mal gesagt, man will nicht am Ende einer Show hören, was man hätte besser machen können. Sondern man möchte eigentlich nur hören, es war super, wir freuen uns schon aufs nächste Mal. Und das erwarte ich natürlich auch am Ende dieses Podcasts, dass sie sagen, es war toll und wir sind jetzt schon gespannt, wie schön es erst das nächste Mal werden wird. Und natürlich möchte man in dieser Form keine Kritik haben, sondern möchte eigentlich gelobt werden. Man möchte Anerkennung haben, um es ganz kurz zu sagen. Aber... Die Frage ist ja, was wird eigentlich kritisiert? Also kritisiere ich jetzt eine Person direkt für ihre Art zu sein? Kritisiere ich sie für ihre bestimmte Arbeit? Ist sie aber Ausdruck ihres Seins? Also dann ist das auch schon wieder sehr stark darauf zurückzuführen und dann wird es wieder in so eine sehr persönliche Kiste gehen. Oder schaffe ich es, dass ich sehr davon abstrahiere und grundsätzliche Arbeitsabläufe oder Dinge, die entstehen, kritisiere und sage, es wäre sinnvoller, das so oder so zu machen und es ganz wegzunehmen von der Person, die es da gerade produziert hat. Aber ich glaube, dass man mit dieser Art der konstruktiven Kritik, also dass man auch so zeigt, ich gebe dir erst was Positives, dann das Negative und dann gucken wir nochmal, wie wir es besser machen, dass man damit überhaupt nicht Leute erreichen kann, weil, wie du zu Recht sagst, das Negative bleibt haften. Und ich würde sogar noch sagen, das Konstruktive ist ja eigentlich noch schlimmer als das Destruktive, weil dann weiß es ja auch noch jemand besser und kann sogar noch eine Antwort darauf bieten. Also ich finde immer Kritik, die einfach nur destruktiv und vielleicht noch dumm ist, die ist ja im Prinzip angenehm, mit der kann man gut umgehen. Aber wenn jetzt wirklich einer es besser kann und das auch noch artikuliert, das macht einen ja richtig fertig.

SPEAKER_01:

Ich würde gerne ein paar Dinge auch nochmal zerlegen von euch beiden. Ich glaube, eine Sache, die ich heute in der Unternehmenswelt sehr kritisch sehe, ist das Beispiel, was du gerade hattest, Mary, mit am Ende eines Projektes oder eines Termins oder so wird diese Runde aufgemacht und es wird um Feedback gebeten. Erstmal wissen wir, diese Situation sind Menschen in hierarchischen Beziehungen, sie sind in Lohnabhängigkeiten, Karrieren hängen davon ab und ich glaube, diese Bewegung, wo Organisationen, Unternehmen versuchen, diese hierarchische Beziehung immer wieder zu kaschieren, zu sagen, die existiert doch eigentlich gar nicht und wir können doch hier eigentlich alle was sagen und so weiter und so weiter. Aber naja, über dein Gehalt entscheide immer noch ich und was du eigentlich arbeitest, ja, da kannst du mal was sagen, aber wir brauchen dich eigentlich da und das, was du willst, können wir dir nicht bieten und so weiter. Diese Beziehungen existieren ja immer noch weiter. Es gibt kaum Unternehmen, die wirklich auf diese fundamentale Struktur gehen. Da wären wir wieder bei Ideologiekritik innerhalb der Organisation. Ist vielleicht noch alles okay, vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Was ich aber besonders kritisch sehe, und da muss ich natürlich unseren Haus- und Hofphilosophen Zizek ranziehen, was Zizek ja schon vor Jahren, Jahrzehnten kritisiert hat, ist nicht nur, dass ich will, dass du obeyst, dass du mir folgst. Ich will, dass du es willst, sozusagen. Ich will nicht nur, dass du mir nettes Feedback gibst. Ich will, dass du willst, dass du mir nettes Feedback gibst. Wenn du kein positives Feedback geben kannst, bist du das Problem, weil du nicht das positive Feedback geben kannst. Das ist ja das Verrückte. Dieses ganze Ding strahlt ja überall aus. Ich merke schon in Produktionsbereichen und in fast schon prekäre Arbeitssituationen, wo diese Themen hochrutschen. Und wenn man sich denkt, seid ihr verrückt? Gebt den Leuten mal ein vernünftiges Gehalt. Das würde schon viel retten und so weiter. Und ich glaube, das ist eine Bewegung, wo man Feedback als Waffe in Unternehmen sieht. Da sind wir bei dieser Logik von Kapitalismus und Performance. Alles Menschliche wird in, ich sag mal, technokratischen Prozessen gesehen. Das, wo ich vielleicht dich jetzt über vier, fünf, sechs Jahre kennengelernt habe, verstehe, wo du dich vielleicht unwohl fühlst, wenn ich dir jetzt einfach so ein Ding in die Fresse haue, wo ich weiß, naja, komm, ich schaue mal, wie du heute drauf bist, heute bist du nicht so gut drauf, dann scheiß drauf und morgen, ja komm, lass uns mal zusammen hinsetzen und die Situation ergibt das vielleicht gerade, dass wir mal gerade einen Tee trinken und ich merke, ich kann mit dir reden, weil ich dich als Person kenne, wird jetzt umgeformt in Sandwich-Feedback und bitte diese fünf Schritte befolgen, wenn du Sandwich-Feedback und Menschen merken das ja. Also ich glaube, es gibt einen Unterschied von, ich schaue mal, dass ich ein paar Sachen sage, dass du dich wohlfühlst, aber dir auch langsam sage, was das Problem ist, versus Ich gehe mal die Checkliste durch. Okay, haben wir alles besprochen. Schön, wir reden mal in drei Wochen wieder drüber. Das ist ja das, was das komplett kaputt

SPEAKER_02:

macht. Im Prinzip ist, was du sagst, eine wichtige Sache ist, dass man auch als Mensch sich in die anderen Menschen reinfühlen muss, wenn man in einer Face-to-Face-Situation mit jemandem spricht. Und das kann man nicht einfach als Methode anwenden und sagen, so und so funktioniert das, dann kannst du perfekt dein Feedback loswerden, sodass die andere Person das richtig aufnimmt und dann genau deiner Meinung aus dem Termin rausläuft. Weil kann ja auch sein, ich sehe es zum Beispiel ganz anders. Es kann ja auch sein, dass ich sage, nee, das macht gar keinen Sinn, was du sagst, dann müssen wir ja darüber sprechen.

UNKNOWN:

Ja.

SPEAKER_01:

Ich meine, die Frage ist ja, was wollen wir? Ich meine, wollen wir anerkennen, dass es Beziehungen gibt zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, zwischen Führungskraft, Mitarbeitenden und die akzeptieren, dass sie Teil der Struktur sind? Oder haben wir gemerkt, wenn wir die kaschieren und so weiter, können wir mehr Menschen an unsere Firma binden und das ist dann besser, weil wir dann beim Fachkräftemangel besser dran sind. Aber dann müssen wir akzeptieren, dass das negative Konsequenzen hat, indem wir immer mehr den Geist der Leute vereinnahmen wollen und das macht was mit den Menschen. Und vielleicht noch der finale Gedanke ist, Konstruktive Kritik, und da hast du einen wichtigen Punkt gemacht, Wolfgang, ist ja auch nochmal ein Ausdruck von Autorität. Ich komme nicht nur und sage, guck mal, das läuft nicht so gut. Ich komme und sage dir, das solltest du noch tun. Konstruktive Kritik ist eine Geste, eine Ich-sage-dir-was-besser-ist-weil-ich-denke-du-weißt-das-nicht. Diese Form der Autorität steckt ja dann auch noch mit drin. Wohingegen ja die, ich nenne sie mal andere Form von Kritik, oder dort, wo wir mal uns die Fehler anschauen, ja eigentlich... wenn man positiv es abformulieren würde, die emanzipatorische Kraft überführt, zu sagen, naja, guck mal, wenn das hier auf dem Boden liegt, da können wir was mit machen.

SPEAKER_04:

Diese paternalistische Komponente ist nochmal zu bedenken, die in der konstruktiven Kritik liegt. Denn wie behandeln wir eigentlich unser Gegenüber? Sehen wir unser Gegenüber als Kind an, das wir jetzt unterrichten müssen und dem wir auch einen gewissen Freiraum gewähren, zum Beispiel, um ein Feedback zu geben? Ich frage mich ohnehin bei diesen Feedback-Runden, warum müssen die in dieser Weise strukturiert sein? Diese Sandwich-Theorie ist ja schon eine sehr eigenartige. Und dann überhaupt zu sagen, jetzt machen wir die Feedback-Runde, statt eher eine Atmosphäre zu schaffen, in der man dann Kritik äußern kann, wenn sie angebracht ist und nicht sagt, man wartet jetzt noch zwei Stunden und im Anschluss dann wird man seine Kritik los.

SPEAKER_02:

Ja, weil es dazu führt, dass man gar nicht mehr kritisieren kann.

SPEAKER_04:

Warum muss man Feedback-Runden machen, wo man doch eigentlich eine Atmosphäre schaffen muss, in der man permanent miteinander im Gespräch ist und da Kritik anbringt, wo sie auch akut ist und nicht in drei Stunden.

SPEAKER_02:

Genau. Und das ist auch nicht tatsächlich gut für die Unternehmen. Die denken das zwar, aber es ist eigentlich total blöd, weil die Leute total zynisch werden. Jeder weiß, dass diese Strukturen da sind. Jeder weiß auch, das ist mein Chef, aber wir tun so, als wäre es nicht. Aber weil wir so tun, als wäre es nicht, kann ich ja nicht dann ihn in dieser Rolle kritisieren, gegebenenfalls. Und dadurch wird das Ganze natürlich einmal unproduktiv, aber eben auch unlösbar. Ja. Außer man sagt halt, nein, man macht das wieder explizit. Das Problem ist, wenn man das explizit macht, dann würde man ja sagen, wir gehen zurück zu, in Anführungsstrichen, Old Times. Old world, old work quasi. Und das wäre natürlich so Image-Shading, dass das auch keiner machen möchte. Aber das neue konsequent zu machen, davor verschließt man sich dann quasi dadurch.

SPEAKER_01:

Und ich glaube tatsächlich, da

UNKNOWN:

...

SPEAKER_01:

Jetzt sind wir schon wieder bei der Ideologiekritik, aber jetzt sind wir noch am Kern, was Unternehmen angeht, was oft Unternehmen sind und was sie oft versuchen zu verschleiern. Unternehmen behandeln Menschen nicht wie erwachsene Menschen oft. Also oft tun sie es einfach nicht. Eine Organisation tut ja alles dafür da, damit die Leute austauschbar sind, aber gleichzeitig tun sie ganz viel damit da, damit sie bleiben. Es gibt sozusagen eine Showseite der Organisation, das, was eine Organisation erzählt, wie sie ist. Und dann gibt es ja sozusagen die formale Struktur, informale Struktur und so weiter. ganz brutal gesagt, ich habe das Gefühl, Führungskräfte wollen einfach gar keine Verantwortung mehr für ihre Mitarbeitenden aufnehmen. Sie vergessen ihre hierarchische Position, was es mal bedeutet auch, okay, ich habe hier Leute, ich habe eine Verantwortung denen gegenüber, ich muss schauen, wohin entwickeln die sich oder nicht und so weiter, weil das einfach strukturell verankert ist. Was wir aber stattdessen heute erleben ist, dass die führungsverantwortlichen Rollen eigentlich erhalten sind in der Hierarchie, in wie Autorität ausgeübt wird, man kommuniziert denen aber gegenüber, seid aber jetzt positiv gegenüber den Leuten und Den Mitarbeitern tut man so, als wenn man eine Familie, aber versteckt sozusagen die ganze Zeit dieses Unterliegende und dann kracht es ja überall. Das funktioniert ja nicht. Die formale Struktur und all diese Ebenen funktionieren weiterhin. Aber dann kommen diese Konfliktprobleme hoch. Aber was dann verwendet wird, sind diese neuen Formen und die sind Konzepte der positiven Psychologie. Man muss sich ja mal irgendwie fragen, Wie kann es sein, dass die positive Psychologie seit den 90er Jahren in der Unternehmenswelt und in der Beratungswelt einen unglaublichen Siegeszug hat? Und gleichzeitig sehen wir, dass die Soziologie und die Systemtheorie, die haben ja einen kritischen Ansatz. Also in der Soziologie arbeitet man sich auch mit der Kritik ab und so weiter, dass die gar keinen Zugang gefunden haben, weil, und das ist eine Annahme von mir, wobei wir auch schon ein paar Mal mit einer Beratung gesprochen haben, die heißt Metaplan, auch bei Corporate Therapy, die ja einen Luhmann-Kern haben, die auch das gleiche Problem beschreiben, dass wenn man mit der Kritik kommt, Sowas wie, wie wollen wir die Überführung ausüben? Wer partizipiert hier am Mehrgewinn und so weiter? Dass das natürlich Themen sind, da hat man Angst, dran zu gehen. Und stattdessen werden dann diese ganzen, ey, lass uns Sandwich-Feedback geben. Das sind ja nur neue Formen, Menschen gefügig zu machen. Immunisierung von Kritik.

SPEAKER_04:

Dieser Zynismus, den du ansprichst, der scheint mir auch wichtig zu sein, denn ich bemerke es bei mir selbst, dass wenn ich zwar nicht in solchen irasischen Situationen mich befinde, aber wenn ich dann doch Anfragen bekomme, zum Beispiel von Produktionsfirmen, die irgendwas planen, irgendeine Show und dann habe ich solche Telefonate oder Zoom-Calls, wo ich dann angefragt werde, ob ich mir das generell auch vorstellen könnte, da Host zu sein. Und in der Regel nehme ich dann solche Calls erst einmal an, um so ein bisschen zu erfahren, wie die Branche tickt und was da Und was mir auffällt, ist, dass dort mit einer Freundlichkeit und Positivität gesprochen wird, die mich sofort zynisch werden lässt. Also das sind schon E-Mails, in denen steht, die gesamte Redaktion bewundert deine Arbeit. Und ich weiß schon, oh, das ist aber wieder eine schön formulierte Lüge, weil ich ja weiß, was die sonst machen. Also ich weiß ja auch, was die sonst für Sendungen oder so produziert haben. Und dann weiß ich, man kann nicht diese Sendungen produzieren und zugleich meine Arbeit so lieben. Oder der Satz, wir wollten immer schon mit dir zusammenarbeiten. Und dann denke ich mir, naja, ich bin ja seit elf Jahren auf YouTube, ihr hättet mich ja vorher anfragen können. Es ist voller Lüge und das sind die Momente, wo ich dann in diesen Calls bin mit so einem Joker-Face und habe dann aber eigentlich nur zynische Gefühle und denke, es ist grauenhaft. Und ich kann mir gut vorstellen, wo dieser Sprech im Unternehmen derart kultiviert ist und wo es dann auch nur noch um Feedback schleifen und all das geht, dass die Leute, die da mit mir sprechen, wahrscheinlich ähnlich zynisch inzwischen sind. weil sie das ja gar nicht anders aushalten, also sonst können sie solche Kommunikationen gar nicht führen und können diese Arbeit nicht verrichten und dieser Zynismus führt natürlich am Ende dazu, dass genau das Gegenteil stattfindet von dem, was mal erreicht werden sollte, nämlich mehr Identifikation mit dem Unternehmen, nämlich Zynismus sagt ja, dass es mir vollkommen egal ist und dass ich jederzeit woanders arbeiten würde.

SPEAKER_01:

Ja, also organisationaler Zynismus ist ja auch ein großes Forschungsgebiet in der Soziologie, die genau das beobachtet und auch beschreibt, was du erklärt hast, also Es ist im Grunde ein Bewältigungsmechanismus mit der Überwältigung der Kommunikation und Double-Bind-Kommunikation. Also Double-Bind ist ja sozusagen, ihr sagt das, Realität, die ich beobachte, ist das. Da ist eine Lücke und diese Lücke muss jetzt gefüllt werden. Ich würde sagen, Zynismus ist ein Bewältigungsmechanismus in so großen Organisationen, die schon lange unterwegs sind, die auf Börsen notiert oder was auch immer sind. Wenn du mal da mal durch die Flure gehst und mal mit den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter redest, da spürst du diesen organisationellen Zynismus. Die haben schon 100 Changes durchgemacht, 10.000 Leadership und Teamprogramme okay, da kommt die nächste Welle. Ich lehne mich einmal zurück, lasse es einmal vorbeihuschen und Hauptsache, ich kann morgen wieder meinen Job machen und so weiter. Ich glaube, das funktioniert gut, wenn man eine gute Kollegschaft hat, wo man sich auch gegenseitig so ein bisschen supportet. Die andere Bewegung, die super kritisch ist, ist natürlich sowas wie Burnout. So eine Überidentifikation mit dem, was erzählt wurde. Also das, was Organisationen kommunizieren, was sie sind, wird einfach scheitern. Also klassisches Beispiel und da möchte ich mich selbst nicht von befreien, dass ich das auch mal durchmachen musste. Die Organisation sagt, ey, wenn ihr reinhaut, voll gut, Ihr seid die Top-Talente und so weiter und so weiter. Und dann merkst du einmal im Jahr, gehst du in so eine Mitarbeiter-Bewertungsrunde und dann sitzen irgendwelche Leute und geben am Ende eine Schulnote. Und dann sitzt du da so und sagst du, warum? Ihr sagt doch, wir sind so toll. Wir machen doch tolle Arbeit und alle erzählen uns das doch. Und dann kommt irgendeine komische Note. Warum hat die Person jetzt eine bessere Note als ich? Und dann wieder beim Personalismus. Ich kriege eine Schulnote, obwohl ich ein erwachsener Mensch bin. Aber das sind tatsächlich diese Bewältigungsmechanismen, die Menschen wahrscheinlich irgendwann haben, wenn sowas passiert. Es ist nicht schön, Kritik zu bekommen.

SPEAKER_02:

Haben wir etabliert. Fühlt sich nicht toll an. Aber in den meisten Fällen, wenn es so direkte Kritik ist und man an einer Sache arbeitet, dann bringt es halt die Sache voran. Oder es klärt die Öffentlichkeit auf. Oder zeigt nochmal Perspektiven auf, die vielleicht aus dem direkten Ding da nicht mit reingegangen wären. Also Kritik an sich, das ist einen großen gesellschaftlichen Nutzen. Ich glaube, da sind wir uns einig. Aber fühlt sich halt nicht gut an. Aber es fühlt sich ja auch auf der anderen Seite oft nicht gut an, Kritik zu geben. Und Kritik Gut zu machen ist, glaube ich, auch einfach super schwierig. Also wenn man auch da nicht sagen möchte, naja, ich rente jetzt einfach, ich mache jetzt hier so einen Armchair-Kritik irgendwie und sage, gefällt mir halt nicht, was der macht, dann muss man es ja fundierend machen und dann muss man sich ja auch ein gewisses Stück weit erstens auskennen, man muss sich damit beschäftigen, man muss verstehen, man muss seine eigene Position hinterfragen und dann muss man das auch noch, Ich weiß es nicht. Ja.

SPEAKER_04:

Mit den Leuten muss ich aber in der Regel mich dann nicht streiten. Das ist doch ein Unterschied zu einer Kritik, die innerhalb eines Unternehmens stattfindet. Denn ich würde sagen, ich werde meine Position artikulieren, beispielsweise zu einem Film und diese ist dann in der Welt. Ich versuche diese Position argumentativ zu begründen, was nicht bedeutet, ich lasse die Leidenschaft völlig heraus. Das wäre ja auch traurig, sondern da muss auch Leidenschaft mit dazu und da kann auch Polemik mit dabei. Aber ist diese Position einmal veröffentlicht, dann ist das etwas, womit die E-Mails oder Nachrichten bekomme von Zuschauern, dann steht in der Regel in diesen E-Mails als erstes der Satz, auch wenn ich mit Ihnen nicht immer einer Meinung bin, was ich als etwas sehr Positives werte, weil es bedeutet, dass die Kritik nicht einfach aufgenommen und geschluckt wird, sondern dass dann mit der Kritik auch wieder eine Auseinandersetzung stattfindet. Und dann gibt es vielmehr da das dialogische Prinzip, das helfen kann, dass man eigentlich nicht am Ende schaut, wer hat nun Recht gehabt, sondern wie kommt man auf etwas Drittes hinaus, also wie kommt man zu dem eigentlichen Ziel, das man ja einmal ins Auge gefasst hat. Und das ist sicherlich dann oft eine Typfrage, wer das besser oder schlechter kann, aber sicherlich gibt es da Strategien, die aber nicht darin liegen, dass man irgendeinen Masterplan verfolgt. Und es ist auch nicht so, dass man auf dieses reduktionistische Weltbild und Menschenbild setzt, sollte, dass zum Beispiel auch diese Neurolinguisten einem nahelegen, man muss die und die Wörter gebrauchen und wenn man das so und so anlegt, dann triggert man etwas im Hirn des anderen und dieser wird dann zustimmen. Das ist ja reine Manipulation, also dann können wir ja uns einfach nur noch als irgendwelche ferngesteuerten Autos verstehen, die wir dann hin und her lenken. Nein, man muss ja gerade dann, weil man vielleicht mit kontraintuitiven Einfällen konfrontiert ist, anderen Gedanken, Disruption, dann in einen ganz anderen Dialog treten der hin zu etwas Drittem führt. Aber ein klares Schema da zu verfolgen, ist vollkommen sinnlos. Vielmehr muss da eine Empathie an den Tag gelegt werden, nicht in Form eines emotionalen Sprechs, sondern den anderen als Menschen erkennen und als Menschen auch auf Augenhöhe wahrnehmen und dann aber zugleich sich auch darüber im Klaren sein, dass es gewisse Hierarchien gibt und diese bringen auch ein Sprechen mit sich. Also man ist als jemand, der im Unternehmen spricht, auch immer derjenige, der von einer Position beziehungsweise als Ja, mein Lieblingssatz ist auch bei einem Meeting zu sagen,

SPEAKER_01:

es gibt keine Denkverbote. Ach ja, ich glaube es war in Japan, wo dann der Chef so tut, als würde er schlafen und dann darf man andere Kollegen kritisieren, aber er tut halt nur so. Managementpraxis. Ja. Ich hatte ein paar Gedanken dazu. Und zwar... Ich habe lange Zeit einen Podcast gehört, da waren Leute, das waren so richtige Heftmenschen, so 90er Jahre, Magazine und Zeitschriften, richtige klassische Redaktionen, so mit richtig Wumms dahinter, mit auch, ich sag mal, einem so kritischen Anspruch gegenüber dem Medium und dem Werk und so weiter. Und ich fand das ganz spannend, eine der älteren Redakteure oder Chefredakteure gesagt hat, ja, die haben damals so eine ganz spannende Ausbildung bekommen. Die haben gelernt, dass wenn die einen Artikel schreiben oder eine Kolumne oder einen Beitrag schreiben für das Heft, der Beitrag, nicht mehr der Person gehört hat, der es geschrieben wurde, sondern es gehörte der Redaktion. Und dann durften die Leute sozusagen Kritik ausüben. Aber es war klar, es war das Werk, nicht die Person. Und am Anfang war das schwer, das loszulassen und auch Kritik auszuüben. Aber über die Ausbildung, über das Training war das für sie vollkommen irgendwann normal. Also es wird nicht die Person kritisiert, es wird das Artefakt und so weiter kritisiert. Und umgekehrt frage ich mich heute auch in unserer Profession, dass die Fähigkeit zu sagen, in einem Meeting, da geht es um größere Entscheidungen, die das Geschäft signifikant beeinflussen, dass man nicht mehr sagt, Leute, wir sollen das kritisieren, das bringt für uns alle Mehrwert, sondern es entwickelt sich immer mehr in so eine Art Individualisierungsding. Die einzelne Person ist dann im Zentrum. man geht weg von der argumentativen Ebene und es dann immer so emotional wird und natürlich haben wir alle Emotionen, wir können das nicht abschalten, aber zumindest diesen Anspruch zu haben, zu sagen, Mary bringt eine Idee mit und es ist nicht Mary, die wir jetzt kritisieren und wie gesagt, ich weiß, dass es schwer ist, aber ich frage mich, wenn es in den früheren Redaktionen normal war und man trainiert wurde, dass man da hinkommt und ich muss ehrlicherweise sagen, früher in der Beratung, das war vollkommen normal, dass ich in meinem Team was in die Mitte packe und die Leute sagen, ey, Slide 14, das verstehe ich nicht, wie meinst du das? Guck mal, wenn du das doch so erklärst, da fehlt dir das. Leute, das musst du noch einfügen. Und ich fand das eigentlich immer ganz spannend, aber gleichzeitig merke ich heute in den Führungsebenen, dass diese Fähigkeit nicht vorhanden ist, obwohl es ein kritisches Handwerk ist.

SPEAKER_02:

Aber ich glaube, da müssen wir die Kontexte differenzieren. Also ich kann mir gut vorstellen, dass man in einer Redaktion genauso wie in der Beratung, wo man ja quasi in einem Team an einem Projekt arbeitet oder zumindest man hat ein Team, also vielleicht arbeiten nicht gleich alle dran oder so, aber es gibt so diesen gemeinsamen Auftrag irgendwie, den man hat, genauso wie in der Redaktion, wo man dann sagt, wir legen jetzt hier was auf den Tisch, wir müssen alle irgendwie das Beste hier rausholen. Wir alle haben da eine gemeinsame Verantwortung.

SPEAKER_01:

Eine gemeinsame Verantwortung oder eine gemeinsame Rechenschaft. Rechenschaft ist eigentlich so groß, Verantwortung.

SPEAKER_02:

Ja, das würde ich noch gar nicht sagen. Ich kann das jetzt nicht auf der Formalstrukturebene begründen, aber ich glaube, da macht schon wieder die Beziehungsebene zwischen den Leuten einen großen Unterschied. Wenn man das jetzt nämlich nimmt in ein Setting von Konzern, Führungsebene, ist das ja nicht, dass die alle zusammen an einer Sache arbeiten, sondern vielmehr sind das Vertreter von verschiedenen Abteilungen, die haben unterschiedliche Agendas. Da gibt es Karrieren, da gibt es Personal Branding, individuelle Boni. Es gibt wahrscheinlich sogar konkurrierende Zielsetzungen, dass die alle gemeinsam daran arbeiten, dass man jetzt sagt, okay, jetzt lass uns mal gucken, dass das das Beste ist. Das ist, glaube ich, natürlich, dass das nicht unbedingt passiert.

SPEAKER_01:

Absolut. Karriereaspiration und so weiter und so weiter. Und da müssen wir dann verstehen, wir haben Systeme gebaut, die ja sozusagen konterkarieren. Ich klinge heute wieder, als würde ich zu einem Zurückwollen.

SPEAKER_04:

konterkarieren diese Systeme das unbedingt, sondern muss man einfach diese Widersprüchlichkeit aushalten und ist die nicht im Dauerzustand. Und das mag sein, ich kenne diese Erzählungen auch von Redaktionen, wo das gehandhabt wurde. Ich würde auch sagen, aber bis zu einem gewissen Punkt und dennoch leben diese Redaktionen auch sehr stark davon, dass es die Edelfedern gibt, bei denen man, egal was sie schreiben und wenn es nur drei Worte sind, immer sagt, genial, nächste Woche wieder bitte so. Und dann gibt es Leute, die sich vielleicht besonders gut darin machen, Kritik zu üben und sie auch auszuhalten, aber das gilt immer nur für einen relativ kleinen Teil. Und ich glaube, dass man da auch nicht ein Zurück zu irgendetwas herstellen kann, denn dieses Zurück zu bedeutete selbstredend auch, dass in der Regel Kritik von unten nach oben gar nicht geäußert wurde, beziehungsweise man dann von oben gesagt bekam, dann gehen sie doch. Und dann musste man schon viel Chutzpah haben und wirklich ein übermäßig großes Talent, dass man dann vielleicht von oben wahrgenommen wurde aufgrund der Kritik. Das hat sich heute natürlich verselbstständigt. Insofern weiß ich gar nicht, ob wir hier nur den Abschied von der Kritik diagnostizieren, sondern eigentlich auch so eine Hyperpräsenz von Kritik. Die ganze Zeit wird geredet und Feedback und gemacht und man kann nicht einfach mal einen Auftrag geben. Ich kenne das auch aus dem Theaterkontext. Ich sprach mit einem Theatermacher, der sagte, er hätte da gewisse Schwierigkeiten. Es ging um ein Stück von Tschechow, das dort möglicherweise mal Ja, genau. Kannst du denn nicht einfach eine Ansage machen, ihr spielt das jetzt? Nein, das geht natürlich überhaupt nicht. Wir müssen da erst einmal in eine lange Diskussion eintreten und das ist ja auch was bei Unternehmen stattfindet oder was ich auch merke, wenn ich in irgendetwas mal involviert werde und ich halte mich ja schon da sehr auf Distanz dazu, wenn mal irgendwelche Anfragen von außen kommen, ich soll sofort mit großen Teams irgendwas stundenlang besprechen, wo ich einfach sage, ich bereite mich vor, verlasst euch drauf, ich komme dann mit dem fertigen Plan. Ich will gar nicht darüber diskutieren. Also ich könnte keine einzige Filmanalyse zustande bringen, wenn ich darüber vorher mit jemandem diskutieren müsste. Also das heißt, wir haben heute eigentlich so eine permanente Reflexionsspirale, die alle so sehr in Gefangenschaft nimmt, dass man kaum noch zum Arbeiten kommt, habe ich mitunter den Eindruck. Deswegen weiß ich gar nicht, ob wir nur so das Ende der Kritik erleben, sondern wir erleben sicherlich das Ende einer bestimmten Kritik, aber zugleich ist die kritische Auseinandersetzung das Gebot der Stunde.

SPEAKER_01:

Wo wir im Grunde die gleichen Machtverhältnisse hatten und die gleichen Herausforderungen Und wenn wir uns heute angucken, wo wir stehen, ist es ja tatsächlich gar nicht ein reines Zurück, sondern vielleicht könnte man sogar konsternieren und sagen, Menschen, die vielleicht sogar gehaltvoll kritisch auf Dinge schauen, sind vielleicht sogar mehr geworden. Aber was wir erleben, das ist sozusagen auch vielleicht unser Alltag, ist eine Art Meinungsrelativismus, anything goes. Man sitzt in einem Raum, versucht sozusagen argumentativ was vorzutragen, hat vielleicht das vernünftig begründet, aber das ist halt nur eine Position neben zahlreichen Positionen und alle müssen gehört werden. Aber naja, in Wahrheit wissen wir, es gibt einen großen Rahmen und wenn irgendwas schiefläuft, wird der festgezurrt und es ist da. Es ist so eine Art Meinungsrelativismus, der aber insbesondere in Unternehmen klar ist, in welche Richtung es reden muss, weil bestimmte Meinungen dürfen auch nur announced werden.

SPEAKER_02:

Das ist ja tatsächlich auch politisch in den Talkshows häufig so. Also wenn man in den Talkshows quasi eine Vertretung von jeder Meinung hat. Jede Meinung sitzt auf einem Stuhl und damit ist quasi automatisch suggeriert, jede dieser Meinungen ist gleichbedeutend und jede dieser Meinungen bekommt gleich viel Redezeit. Wobei natürlich einiges davon einfach eine, ich will gar nicht sagen Meinung, vielleicht eine Forderung oder ein Rant. Und andere sitzen da und denken sich, Okay, aber ich habe zwei Doktorarbeiten hier drüber geschrieben und ich bin ein Experte und ich habe hier Fakten und Argumente und das ist aufgebaut und so weiter und so fort. Das kann doch nicht sein, dass daneben jemand sagt, ich finde das halt blöd und ich fühle mich damit aber schlecht.

SPEAKER_04:

Weil er um sich eine Marke aufgebaut hat oder er selbst zu einer Marke geworden ist und da... Also man wird häufig bei Leuten nicht klar sagen können, warum sie eingeladen werden, warum sie irgendwo stattfinden, außer dass man sie kennt. Da sieht man auch, wie prekär die Lage der Kritik geworden ist, dass kaum Kriterien bei den Leuten, bei den Entscheidern für wer bekommt eine Sendung, wer wird in Sendungen eingeladen, dass es da keine Kriterien gibt, nach denen man da vorgeht. Und man kann da jetzt auch nicht diesen einen Katalog anlegen, aber es ist doch auffallend, dass man nur eine gewisse Publicity haben muss und dann funktioniert das, egal zu welchem Thema. Und das ist... Sicherlich etwas, was wir zunehmend erleben, weil wir so sehr darauf abziehen, dass wir bekannte Gesichter haben, dass wir sicherlich so eine IQ-Kultur etabliert haben, in der es tatsächlich nicht darum geht, ob man eine sachbasierte Auseinandersetzung bieten kann oder reicht es einfach, dass man einen kennt. Und das ist ein generelles Problem, ein massenmediales dann nochmal im hohen Maße. Und wir wissen auch selbst, dass es in Unternehmen sehr viel Scharlatanerie gibt. Im Marketing, in der Beratung, überall. Also man kann natürlich auch sehen, welche Gurus da so bei YouTube unterwegs sind und Millionengewinne machen mit Methoden, bei denen man denkt, ja jeder klar denkende Mensch sollte eigentlich erkennen, dass das Nonsens ist. Dennoch kann man damit sehr viel Geld verdienen. Wenn alle nur fest dran glauben, dann hat das ja auch eine Wirksamkeit und dann sagt man, seht ihr, geht doch. Das heißt, wir sind da an so einem Punkt angelangt, wo man eigentlich feststellen muss, Ja, es gibt das Ende der Kritik, es gibt zugleich die permanente Einforderung von Kritik in Form von Feedback und zugleich würde ich sagen, gibt es schon wieder so etwas wie die Fundamentalkritik eigentlich nicht. Also wir können das auch für den öffentlichen Diskurs sehr gut sehen. Man kann gewisse Dinge kritisieren, im ganz reformistischen Sinne, so ganz Kleinigkeiten, wo irgendwas verbessert werden sollte. Dann kann man vielleicht noch auf so einer ganz abstrakten Ebene über etwas philosophieren, so sollte man versuchen, dass wir ein grünes Wirtschaften bekommen, sollten wir uns verabschieden vom Wirtschaftswachstum, sowas kann man auch noch so auf so einer ganz allgemeinen Ebene debattieren, aber die Fundamentalkritik fängt für mich da an, wo es tatsächlich um einen Interessen kommt, Und dieser Konflikt ist nicht aufzulösen. Das ist einer, der besteht. Jetzt kann ich den einfach umschiffen und kümmere mich um andere Dinge. Aber wenn ich diesen Konflikt anspreche und mich dann zum Beispiel auf die Seite der Arbeitnehmer schlage, dann habe ich gewisse Konflikte aufkommen lassen, die möglicherweise dann dazu führen, dass ich ignoriert werde oder nicht mehr im Diskurs groß stattfinde oder, oder, oder. Das heißt also da, wo diese Kritik ganz klar bedeutet, hier will jemand was vom Kuchen ab, der aber anderen schon gehört. mehr beliebt ist, dass Kritik geäußert wird. Was man daran sehen kann, dass zum Beispiel wir keine Mindestlohn-Debatte haben. Also wir haben jetzt gesehen, der Mindestlohn wird auf lächerliche Weise nur angehoben, aber wir haben jetzt keinen großen Protest deshalb, obwohl es so unglaublich viele Leute betrifft, Millionen Menschen betrifft und noch viel mehr betrifft, wenn man bedenkt, dass die Löhne, die danach kommen, ja auch in gewisser Weise in Relation stehen zum Mindestlohn. Aber das haben wir natürlich nicht als Thema. Und wenn wir das jetzt nochmal auf die Betriebslöhne betriebswirtschaftliche Ebene, diese volkswirtschaftliche Dethematisierung auf die betriebswirtschaftliche Ebene ziehen, dann ist zunächst einmal ja auch da der Konflikt da, einmal zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern und dann nochmal gibt es die miteinander konfligierenden Arbeitnehmer in der Hierarchie, wo es darum geht, dass man natürlich nicht die Eigentumsverhältnisse auf den Kopf stellen kann, aber doch immerhin in dieser Hierarchie besser oder schlechter fortkommen kann, besser oder schlechter bezahlt werden kann. Und das sorgt dafür, dass wir also diese Konfliktkonstellation grundsätzlich haben und die ist nicht auflösbar. Dann müsste man über ein anderes Wirtschaftssystem nachdenken. Aber indem man erst einmal diese Lage als das erkennt, was sie ist, kann man ja daraufhin wiederum sagen, aber was wäre denn zu verändern? Oder wo kann man auch sagen, das ist nochmal ein eigener Konflikt, wo auch andere Andere diesen austragen müssen. Also dafür gibt es ja zum Beispiel dann Gewerkschafter, die sowas machen können oder Betriebsräte, wo dieser Konflikt dann auch ganz klar ausgesprochen wird, wo es dann um Zahlen geht. Aber dass man das glaubt, alles zu übertünchen mit, wir reden mal über alles und wir bieten hier tolle Feedback-Schleifen an, damit kommt man nicht weiter.

SPEAKER_01:

Ich stimme dir in all diesen Punkten zu und ich würde auch gerne auf zwei Podcasts verweisen. Einen davon haben wir gerade ganz frisch veröffentlicht mit Klaus Dörrer zum Thema Arbeitskampf und grüne Transformationen und so weiter und Klima. Und natürlich mit Catherine Liu über das Thema PMC. Ist nicht der Horror. Das Gruselige, was wir erleben, Wolfgang, ist, all das, was du gerade erzählt hast, müsste uns eigentlich klar sein, aber das hat keinen Siegeszug in unserer Gesellschaft, sondern der Siegeszug ist das, Bei diesem Feedback-Kram, bei diesem positive Psychologie, es liegt an dir, du musst doch an deinem Mindset arbeiten, dann geht es dir auch besser und kriegst auch ein Stück von Kuchen am Kram. Wobei alle Statistiken, Untersuchungen und so weiter zeigen, das andere ist das Problem. Ist das nicht eine verrückte Zeit? Wie kann das sein, dass so ein Ding wie Feedback-Kultur das andere übertrumpft? Wie kann das sein?

SPEAKER_04:

Ja, wie kann das sein, dass die katholische Kirche einmal so mächtig war, wo es den Leuten so schlecht ging? Nun, weil es den Leuten so schlecht ging, war die katholische Kirche so mächtig. Und vielleicht kann man tatsächlich diese Parallele ziehen. Also da, wo es ökonomisch bergab geht oder es zumindest sehr prekär für viele zugeht, da ist zu erleben, dass man versucht, Ersatzhandlungen und Ersatzprodukte anzubieten. Und das ist dann unter anderem die Glücksphilosophie und Psychologie. Ja,

SPEAKER_02:

und was ist die Erlösung? Die Erlösung ist, wenn möglichst viele Leute mich mögen. Also dieses Gemochtwerden ist, glaube ich, ein Riesending. Ihr hattet das in Influencer ja wunderbar beschrieben, wie quasi die meisten von den ganzen Influencern, manche starten ja auch irgendwie edgy oder so, aber man wird dann einfach so bla, wie man das auf Englisch so schön ausdrückt, so vanilla. Also dann hat man auch irgendwie keine Kante mehr, weil je weniger Kanten ich habe, desto weniger kann ich anecken und desto mehr bin ich in Anführungsstrichen gemocht. Ich glaube, da auch oft gleichgesetzt wird, quasi wenn ich nicht nicht gemocht werde, heißt das, ich werde gemocht, was natürlich auch nicht stimmt. Also nur weil jemand mich nicht hasst, heißt ja nicht, dass der mich mag. Ich glaube, diese Angst vorm Anecken ist auch nochmal ein Riesending. Also wenn ich eine klare Position beziehen möchte, dann muss ich damit rechnen, dass andere Leute gegen diese Position sind. Also nicht unbedingt gegen mich als Person, aber gegen diese Position. Und dann ist es halt so, diese Position gibt es nicht, die für alle gut funktioniert. Weil dafür haben wir einfach zu viele unterschiedliche Interessen, die sich gegenüberstehen, wie du das sagst. Und dafür muss man das anerkennen und dann kann man sich positionieren. Aber dann hat man halt das Problem, dass andere Leute diese Position nicht teilen werden. Damit hat man einmal dieses Mögen-Problem. Ich glaube, das ist auf der einen Seite. Und andererseits verbaut man sich dadurch aber auch Chancen. Also damit kann man nicht mehr individualistisch, opportunistisch quasi in diesem Gehege den bestmöglichen Nutzen für sich rausziehen. Und ich glaube, das ist quasi der zweite Punkt, also neben diesem Mögen ist auch einfach eine harte Individualisierung und das ist wahrscheinlich die Religion auch, von der du gesprochen hast, es liegt halt bei dir. Also du kannst ja das Beste draus machen, in Anführungsstrichen. Da sind wir wieder bei diesen ganzen Mindset-Geschichten. Dann hol doch Feedback ein. Dann lerne doch, wie du gutes Feedback gibst und wie du eine gute Führungskraft bist. Und dann mach doch diese ganzen Tricks und so weiter und so fort. Und dann wird das funktionieren. Und dann möchtest du aber auch nicht das ganze System kritisieren, weil eigentlich liegt es ja bei dir, dass du diese Sachen richtig anwendest. Es gibt ja genug davon. Also ich glaube, dass es schon so ein bisschen zusammenhängt.

SPEAKER_04:

Foucault definiert ja die Aufgabe von Kritik auch darin, zu artikulieren, eine Form des Dissenses, um nicht derart regiert zu werden. Also dass man versucht, sich einer gewissen Herrschaftsweise zu entziehen, in der Form, dass man zunächst einmal diese Herrschaftsweise analysiert, sie dann kritisiert und versucht, so dem als Subjekt zu entkommen. Und bei Judith Butler geht es dann ja nochmal einen Schritt weiter, indem sie sagt, wir bekommen häufig, wenn wir Kritik üben, so eine Außenseiterposition zugeschrieben und sie sagt ja, wie sollen die eigentlich annehmen, also diese schurkische Position, wie sie es nennt und sagen, dass da eigentlich auch das Vernetzungspotenzial mit allen anderen schurkischen Positionen liegt. Sie denkt da durchaus im Sinne einer, ja man könnte sagen, Äquivalenzkette zwischen verschiedenen schurkischen Positionen nach, die also sich dem widersetzen, was Hegemonie Und wir erleben aber natürlich da, wo die ökonomischen Verhältnisse sehr prekär sind, tatsächlich eher die Tendenz zu versuchen, sich unter irgendetwas Kollektives zu begeben, um so einen Schutzschirm zu haben. nur noch so positives Feedback gibt, um dann an einen Punkt zu gelangen, in dem man sich aufgehoben fühlt im Anerkanntsein. Und das ist sicherlich auch ein Zeichen der Zeit deshalb, weil wir zugleich eine große Vereinsamung erleben. Also viele Menschen haben wenige, denen sie sich anvertrauen können. Das heißt auch, sie haben wenig geschützte Räume, wenig Räume, in denen sie Kritik äußern können oder Kritik erfahren oder in denen sie auch sehr positives Feedback bis hin zu geliebt werden bekommen und Und da ist dann die Sehnsucht groß, wenigstens Anerkennung woanders herzubekommen. Denn ich würde sagen, jemand, der zum Beispiel im Privaten sehr stark aufgehoben ist und dort so etwas wie, sagen wir ruhig, Geborgenheit findet, wird weniger ein Problem damit haben, wenn er hart angegangen wird, beispielsweise in beruflichen Kontexten. Wenn dies aber privat überhaupt nicht gegeben ist und der Beruf eigentlich das Ein und Alles ist und auch die neoliberale Ideologie ja sehr weit dahin abzielte, zu sagen, Also sagen, identifiziere dich voll mit dem Beruf, das Private ist eigentlich nicht so wichtig. Dann hat man natürlich Subjekte geformt, die plötzlich hochemotional sind, die also die Emotionen, die man sonst vielleicht eher im Privaten hatte und wo die ausgehandelt wurden, dann aber im geschützten Raum. Diese Emotionen müssen irgendwo auch noch hin und die finden dann im Großraumbüro statt, wo aber potenziell eher nicht wohlgesonnene Familienmitglieder oder Partner sind, sondern eher Konkurrenten, wenn es um die nächste Bevölkerung geht. Wow, also

SPEAKER_01:

dieser Schluss, der ist wirklich krass. Also in der Form, wie du es gerade formuliert hast, habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wir sehen diese Vereinsamung, jetzt nach Corona kommen auch erst die ersten Leute in den Beruf rein und so weiter. Es gibt diesen Trend zur Überidentifikation mit der Arbeit. sozusagen das Private, sozusagen der Rückzug, wo man Geborgenheit fühlt, wo man keine Angst haben muss, dass wenn ich etwas Falsches sage, ich eine schlechte Beförderung kriege, geht weg. Und sozusagen ich projiziere genau, aber die Bedürfnisse habe ich immer noch. Und wenn das dann mal ruckelig wird, das dann wirklich viel wackelig wird, das ist eine sehr spannende und auch sehr scharfe aktuelle Analyse. Wow, diesen Gedankengang hatte ich so in der Form noch gar nicht. Also interessant. Ich hoffe, die Leute, die das hören, fühlen sich jetzt nicht zu sehr davon getriggert, aber es ist schon

SPEAKER_02:

interessant. Ich meine, das ist ja hier die Corporate Therapy. Ich glaube, das war eine therapeutische Einsicht sozusagen. Ich würde das anekdotisch auch bestätigen, weil ich immer bewundere, nämlich wie manche Leute, die Geschwister haben, mit Kritik umgehen. Weil ich glaube, Geschwister ist immer nochmal ein lustiges Ding, weil man sich die ganze Zeit anscheinend beim Aufwachsen irgendwelche Sachen an den Kopf wirft. Und das ist aber okay. Also das ist halt so. Das macht man halt so. Und einen ganz anderen Umgang mit Konflikt oder mit, ja noch nicht mal Kritik, aber mit einfach Negativität Also wenn man denen was an den Kopf wirft, dann ist halt deine Meinung doch mir egal. Also ich muss ja mein Ding machen und da auch nochmal eine ganz andere Resilienz vielleicht mitbringen. Also ich will das jetzt nicht verallgemeinern auf alle Leute, die Geschwister haben und nicht alle Einzelkinder haben das nicht. Aber ich habe das auf jeden Fall schon bei ein paar Leuten beobachtet, die ich kenne in ihrem Umgang mit

SPEAKER_01:

Geschwistern. So zum Schluss noch ein Gedanke, den würde ich gerne droppen. Der geht vielleicht jetzt ein bisschen in eine andere Richtung, aber da würde mich auch insbesondere deine Perspektive interessieren, Wolfgang, weil ich mich da auch manchmal selbst mit reflektiere und ich bin mir da nicht immer so sicher. Und zwar den Überschussgenuss aus der Kritik oder man könnte auch sagen Surplus-Enjoyment der Kritik. Wir wissen ja, wir leben in einer Welt, wo dann Leute gucken, ach, der macht das ja nur, weil ihm Kritik Spaß macht oder so. Ich kann mir vorstellen, dass du auch mal den einen oder anderen Feedback bekommen hast von Leuten, ach, du bist ja nur so kritisch, weil du ja gerne kritisch bist und Spaß daran hast, kritisch zu sein. Wie schaust du denn da drauf?

SPEAKER_04:

Sicherlich macht es mir Spaß, Kritik zu üben, im positiven wie im negativen Sinne. Nur sollte nicht vergessen werden, dass wenn ich negative Kritik äußere, ich zuvor arg leiden musste, nämlich entweder unter einem Film oder unter einem Buch. Beispiel meine Kritik zu Christopher Nolans Oppenheimer macht mir eigentlich doppelt Spaß, weil ich drei Stunden einen guten Film gesehen habe und dann noch einmal argumentativ darlegen kann, auch für mich ganz persönlich, warum dieser Film so gut ist. Und das macht mir im Grunde mehr Freude, aber ich kompensiere zugegebenermaßen das Leid, das mir manche Kunstwerke verursachen, damit, dass ich die Kritik daran dann durchaus mit Spitzen und Pointe Und vor allem auch mein Publikum eine Freude hat, daran diese Kritik sich anzuhören. Denn es ist ja so, dass die Kritik keine Kunst ist, aber doch etwas, was Freude machen kann. Also es gab beispielsweise in der FAZ den Theaterkritiker Gerd Stadelmeier, dessen Kritiken ich immer gelesen habe, auch wenn ich nur die wenigsten dieser Theaterstücke gesehen habe, weil ich ständig durch Deutschland reise, um mir Theaterstücke anzusehen. Aber die Kritik, die ich immer gelesen habe, ist, dass die Kritik keine Kunst ist. Die negativen Kritiken waren immer ein Genuss zu lesen und hier würde ich sogar sagen, es waren die negativen Kritiken, die oft noch mehr Spaß gemacht haben. Man hat auch eine diebische Freude und um das nochmal ganz zu belegen, es ist so, dass es von dem großen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranitzky zwei Bände gibt. Der eine heißt lauter Lobreden, der andere heißt lauter Verrisse und ich kann die Frage unbeantwortet lassen, welcher Band sich besser verkauft hat.

SPEAKER_01:

Und wenn wir das jetzt ins Extrem nehmen, sehen wir ja das doch auch schon wieder im Trend, dass zum Beispiel auf YouTube so dieses Sachen runterziehen, das ist ja auch erfolgreich. Haten und Renten, ja. Ich kenne zum Beispiel was im Gaming. Computerspiele schlecht finden ist deutlich, deutlich erfolgreicher im Verhältnis zu sachlicher Kritik oder sogar affirmativ sie gut finden. Und bei dem Gutfinden sagen die Leute sofort immer, die wurden doch gekauft.

SPEAKER_04:

Ja, es hat sicherlich so einen Ausweis von Unabhängigkeit, wenn man negative Kritik äußert. Und generell würde ich auch sagen, stimmt das. Also man kann manche Kritik auch nur äußern, weil man unabhängig ist. Und das ist mein persönliches Glück oder man kann auch sagen, zum Teil erarbeitet, dass ich machen kann, was ich will, dass ich sagen kann, wie ich das sehe und nicht Angst haben muss, wenn ich jetzt drei Filme bespreche und alle drei schlecht bespreche, dass das irgendwelche Konsequenzen für mich hat, weder redaktionell noch irgendwie irgendwelche künftigen Filme anbelangt oder das Publikum anbelangt. Aber ich denke, dass wir sehr häufig jetzt im Internet diesen Trend erleben, dass Leute, ein Publikum eigentlich nicht sich nach Kritik sehnt, auch nicht in dem Sinne nach dem Negativen als eine Möglichkeit der Negation, die uns Erkenntnis vermittelt, sondern man möchte eigentlich Emotionen haben und negative Emotionen sind oft nochmal viel, viel stärker und leichter zu vermitteln und sind gleich von einer hohen Authentizität geprägt, dass man eigentlich sehen will, um es ein bisschen salopp auszudrücken, wie Leute ausrasten. Und diese Tendenz, die sehe ich ganz klar, aber die führt uns nicht dahin, dass wir es da mit einem resonierenden Publikum zu tun haben, das dann wirklich sich mit etwas auseinandersetzen will, sondern man möchte eigentlich nur erleben, wie sich jemand aufregt und kann dann das interpassiv genießen. Ich selbst rege mich nicht auf, habe das Spiel vielleicht gar nicht gespielt, aber da regt sich jemand für mich schon. auf.

SPEAKER_02:

Das ist für mich aber ein ziemliches YouTube-Phänomen oder beziehungsweise Konsum-Phänomen, also dass ich das konsumiere sozusagen.

SPEAKER_01:

Ja, ich glaube, es ist wirklich diese Interpassivität, also

SPEAKER_02:

dieses, jemand spürt das für mich. als unabhängige Person einer Öffentlichkeit gegenüber. Im Gegensatz zu einer Person in entweder einem organisationellen Kontext oder aber auch quasi unter Freunden oder sowas. Ja. Weil wenn ich es kritisiere, dann kann ich ja sagen, ah, guck mal, das ist schlechter und ich bin schlauer und habe das erkannt. Ich würde schon sagen, dass das gar keine gute Kritik ist, sondern nur negativ kritisiert wird, um etwas negativ zu kritisieren, weil man sich dadurch natürlich ein bisschen besser stellt. Und das ist, glaube ich, schon eine rhetorische Taktik zumindest mal, die angewendet wird auch in Unternehmen.

SPEAKER_01:

Also ich würde das unbedingt aufschneiden und würde sagen, Es gibt Situationen, da benutzt man rhetorische Taktiken, aber das ist unabhängig von Unternehmen oder nicht. Das kann ja auch im Freundschaftskreis oder was auch immer passieren. Aber ich würde trotzdem nicht verkennen, dass es als jemand, der vielleicht auch gut ist in Ausübung von Kritik und da auch scharf rangehen kann, dass da schon, und ich glaube, davon können wir uns am Ende auch wirklich freisprechen, dass ein gewisser Überschuss an Kritik Genuss stattfindet an der Ausübung von Kritik, unabhängig, ob man eine Person der Öffentlichkeit ist oder ich gerade in einem Termin sitze und sage, man sollte das jetzt schon kritisieren. Also ich meine, das ist nicht im Sinne von Taktik und so weiter, sondern es gibt ja immer noch dieses Mehr. Ich glaube, davon kann sich ja keiner freisprechen. Ein bisschen Vergnügen schwingt immer

SPEAKER_02:

mit. Also ich glaube schon, das ist auch dieses, ich habe es ja auch ein bisschen durchblickt Ding und das schwingt da ja mit und das ist natürlich ein schönes Gefühl. Ja. Wir enden mit einem schönen Gefühl. Wir haben gestartet, ja eigentlich erst mal mit der neutralen Kritik und was sie ist, was konstruktiv ist und destruktiv ist und sind dann mit verschiedenen Anekdoten, die ich viele... Also wir sind irgendwie durch, was ist Kritik, was ist Meinung, auf welchen Ebenen stehen die zueinander, was für Beziehungen passieren damit, was für Bedingungen bei den Menschen finden statt, um Kritik auszuüben, anzunehmen, wie fühlt man sich damit, also was ist quasi die emotionale Rolle in Kritik. Wir haben festgestellt, dass Kritik sowohl inflationär irgendwie verwendet wird, aber gleichzeitig nicht tief genug, um wirkliche Kritik zu sein und dass die verschiedenen Positionen eigentlich häufig auch gar nicht zu Ende gedacht werden. Oder auf einer Ebene angesetzt wird, wo es tatsächlich relevant wäre und gegen Ende sind wir quasi nochmal in die psychischen Gegebenheiten reingegangen, in Vereinsamung und in das Surplus-Enjoyment, das man gegebenenfalls daraus zieht. Ich würde an dieser Stelle vielleicht einmal den Versuch wagen, weil wir letztes Mal darüber gesprochen haben, zu sagen, dass wenn... Ihr positive Kritik an diesem Podcast, möchtet ihr das natürlich gerne tun, könnt negative auch. Aber wenn es euch gefällt, ihr dann natürlich auch gerne uns eine Sternebewertung geben könnt und den Podcast abonnieren könnt, damit sich das ja auch verstetigen kann.

SPEAKER_01:

Wenn du es sauber machen willst, würdest du noch sagen auf Spotify und Apple Podcast. Und natürlich, wenn wir schon gerade in dieser Runde sind, für die Leute, die es nicht wissen, Wolfgang betreibt mindestens drei Formate, von denen ich weiß. Nummer eins, von der haben wir gerade ganz viel gesprochen, das ist die Filmanalyse. Um ehrlich zu sein, ich gucke mehr Filmanalyse, als dass ich Filme gucke. Von daher höchste Empfehlung. Ich gehöre sogar zu den Verrückten, die gucken die Filmanalyse, bevor sie den Film gucken. Habe ich meistens mehr vom Film. Dann Wohlstand für alle. Das Arbeiter machst du ja sozusagen mit dem Ole, ein Wirtschaftsformat auf YouTube. Aber, und da muss ich jetzt ehrlich sagen, mein absolutes Lieblings-Podcast-Format neben einem anderen, aber das werde ich dir heute nicht verraten. Ich muss ehrlich sagen, das ist der einzige Film, Politische Podcasts, die ich mir im Monat anhöre, die neuen Zwanziger, in der Regel vier bis fünf Stunden. Ich glaube, wenn man sich den im Monat anhört, dann hat man einen riesen Jump nach vorne, was so abgeht und eure kritische Reflexion mit Stefan Schulz, der hier auch mal zu Gast war und insbesondere der Salon für die Menschen, die das auf Steady buchen. Wenn wir den Rundumschlag machen, einmal komplett. Vielen Dank, dass du heute hier warst,

SPEAKER_04:

Wolfgang. Es war mir eine Freude. Bis bald.

SPEAKER_00:

Auch von meiner

SPEAKER_01:

Seite. Bis

SPEAKER_00:

bald.